Gastbeitrag
Home > Eigenständige JugendpolitikJugendwohnen - traditionelle Wohnform, moderne Herausforderungen

(21.07.2023) Im Jugendwohnen finden junge Menschen sowohl Obdach als auch Begleitung für die Zeit der Ausbildung. Der Gastbeitrag stellt aus Trägersicht aktuelle politische Herausforderungen dar und beschreibt die komplexen Rahmenbedingungen für eine gelingende Begleitung Jugendlicher.

Häuser in einer Stadt aus der Ferne. Foto: Jörg Farys, (c) Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ Häuser in einer Stadt aus der Ferne. Foto: Jörg Farys, (c) Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

An rund 500 Standorten in Deutschland bieten die Einrichtungen des Azubi- und Jugendwohnens mehr als nur eine Unterkunft für junge Menschen. Herzstück des Jugendwohnens ist die sozialpädagogische Begleitung, mit der die Bewohner*innen am Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf sowie der Verselbständigung unterstützt werden. Das Angebot wird von Jugendämtern, Jobcentern, Arbeitsagenturen, Ausbildungsbetrieben und Schulen genutzt und finanziell gefördert. Es gleicht durch entsprechende Förderangebote, Begleitung, Unterstützung und Beratung Benachteiligungen aus und verbessert dadurch die gesellschaftliche Integration sowie Teilhabemöglichkeiten im Zugang zu Wohnraum, Bildung und Ausbildung. 

Das Jugendwohnen sieht sich aber auch mit einigen aktuellen Herausforderungen konfrontiert:

  • Übergänge sicher gestalten: Verbesserungen für duale Auszubildende mit Anspruch auf BAB bei Ausbildungsabbruch oder Ausbildungsabschluss

Junge Menschen, die nach § 13 (3) SGB VIII im Jugendwohnen untergebracht sind, werden bei der Finanzierung des Wohnheimplatzes oft über die Berufsausbildungshilfe (BAB) der Bundesagentur für Arbeit nach §61 SGB III unterstützt. Hier sind Ausbildungsabbrüche, aber auch der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung wohnungstechnisch eine riesige Herausforderung. Mit Abbruch der Ausbildung oder bestandener Ausbildung endet auf den Tag genau die Förderung der Unterbringung im Jugendwohnen. Gerade bei Ausbildungsabbruch bedeutet das oft, dass nicht schnell genug eine neue Unterkunft gefunden werden kann – es droht Wohnungslosigkeit. Bei Ausbildungsabsolvent*innen fallen verschiedene Faktoren genau in die Abschlussprüfungsphase: Prüfungsstress, Wohnungssuche, Zukunftsangst, Jobsuche, (oft auch die Frage nach der Bleibeperspektive bei geflüchteten Menschen). Auch hier kann nicht immer sofort eine neue Wohnmöglichkeit gefunden werden. Wünschenswert und sinnvoll wäre es hier, kulantere Übergangsregelungen in der BAB-Finanzierung des Wohnheimplatzes festzulegen. 

  • Besserer Zugang für schulische Auszubildende im Jugendwohnen: Änderungen beim BAföG notwendig

Duale Auszubildende, d.h. in vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) anerkannten Ausbildungsberufen, erhalten zur Refinanzierung des Jugendwohnheimplatzes Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) über die Arbeitsagentur. Auszubildende in rein schulischen Ausbildungsberufen haben keinen Anspruch auf BAB, können jedoch zur Finanzierung der Unterkunft (Schüler*innen-)BAföG beantragen. Aktuell ist die Nutzung des BAföGs in den Jugendwohneinrichtungen äußerst selten und wird zudem von den BAföG-Ämtern kaum bewilligt. Angesichts der aktuellen Entwicklungen im gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Bereich wird die Nutzung des BAföGs im Jugendwohnen jedoch als zunehmend wichtig eingeschätzt, um die Attraktivität von vollzeitschulischen Ausbildungen, gerade in Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen, zu stärken. Die BAföG-Härteverordnung muss daher im Rahmen der für 2025 geplanten BAföG-Novellierung modernisiert und der Zugang für schulische Auszubildende zum Jugendwohnen verbessert werden. Die kommunalen BAföG-Ämter sollten für die Möglichkeit der Unterbringung schulischer Auszubildender im sozialpädagogisch begleiteten Jugendwohnen sensibilisiert werden.

  • Gelingende Übergänge: Angebote der Hilfen zur Erziehung mit dem Angebot des Jugendwohnens besser verzahnen 

Es gelingt insgesamt zu selten, den Übergang aus den Hilfen zur Erziehung (HzE) frühzeitig mit der Jugendsozialarbeit und den Angeboten aus anderen Rechtskreisen zu verknüpfen und eine kontinuierliche Begleitung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 27 Jahren auf ihrem Weg in die Arbeitswelt und Selbstständigkeit sicher zu stellen.

Unter anderem im Jugendwohnen werden diese Probleme deutlich: auch wenn eigentlich eine Förderung bis zum 27. Lebensjahr möglich ist, wird oft spätestens ab dem 21. Lebensjahr die Unterkunft im Jugendwohnen nicht mehr vom Jugendamt gefördert. Gerade hier müsste der Übergang von HzE-Leistungen im Jugendwohnen in das reguläre Angebot des Jugendwohnens als Teil der Jugendsozialarbeit nach § 13 (3) besser funktionieren. In der Praxis kommt es nicht selten zu administrativen Hürden. Sichergestellt werden muss, dass die jungen Menschen den Ort, der ihnen Orientierung, Gemeinschaft und Halt gibt, nicht verlassen müssen, bevor signifikante Transitionsprozesse (z.B. Ausbildungsabschluss, Abschluss Asylverfahren, Erteilung Ausbildungsduldung, Aufnahme Ausbildung, Verselbständigung und abschließend auch die Wohnungssuche) erfolgreich bewältigt sind. Grundsätzlich könnten im Jugendwohnen zudem Plätze nach § 41 SGB VIII für junge Volljährige ausgebaut werden.

  • Die Förderung schwer zu erreichender junger Menschen und (potenziell) wohnungsloser Jugendliche ins Jugendwohnen integrieren

Zur Förderung von „schwer erreichbaren Jugendlichen“ zwischen 15 und 25 Jahren wurde der § 16 h ins Sozialgesetzbuch II aufgenommen. Möglich ist es hier, auch im Jugendwohnen eine Unterkunft anzubieten oder Notschlafstellen einzurichten. Im Jugendwohnen gibt es bisher einige beispielhafte Kooperationen und Wohnangebote - bundesweit sind die Zahlen jedoch gering. Die bestehenden Angebote nach §16 h SGB II sind meist in Form betreuter Wohngruppen eingerichtet, in denen schwer erreichbare junge Menschen dabei unterstützt werden, emotionale und psychische Stabilität zu finden, soziale Bindungen aufzubauen und dauerhafte gesellschaftliche und berufliche Integration zu erreichen. Strukturierte Tagesabläufe sollen eingeübt und verinnerlicht werden, der Genuss von rauschfördernden Mitteln soll ggf. minimiert oder unterlassen werden. Verselbständigung und Persönlichkeitsentwicklung sollen gestärkt werden. Teil der sozialpädagogischen Betreuung ist es zudem, Kontakt zu Eltern, Vormündern, Schulen, Ausbildungsbetrieben, Psychologe, Ärzten und weiteren Beratungsstellen zu halten. Um das Angebot auch in weiteren Einrichtungen des Jugendwohnens umzusetzen, könnten Best-Practice-Beispiele bekannter gemacht werden, die Häuser zum Implementationsprozess besser beraten und auch seitens der örtlichen Jugendämter Kooperationen angeboten werden.

  • Barrierefreiheit und Inklusion im Jugendwohnen

Schon heute versteht sich das Jugendwohnen als Ort der Inklusion und Integration ­- Partizipation und Teilhabe sind charakteristisch für das Selbstverständnis des Jugendwohnens. Junge Menschen verschiedener Nationalitäten und Religionen, aber auch mit unterschiedlichem sozio-ökonomischen Hintergrund leben unter einem Dach zusammen. Unterschiede gibt es auch in der körperlichen, intellektuellen und psychisch-sozialen Konstitution der Bewohner*innen. Diese Unterschiede sind alltäglicher Bestandteil des Zusammenlebens in den Jugendwohneinrichtungen. Die Rahmenbedingungen in den Häusern für die Unterbringung für Menschen mit Behinderung sind bisher heterogen. Beispielsweise bieten aktuell etwa ein Viertel der Jugendwohneinrichtungen Plätze für Jugendliche in Reha-Maßnahmen an. Bei der staatlich geförderten Modernisierung ist zunehmend auf Anforderungen der Barrierefreiheit zu achten. Einige Einrichtungen verfolgen zudem eine inklusive Personalpolitik.

Perspektivisch zeichnet sich inklusives Jugendwohnen durch bauliche Barrierefreiheit, eine inklusive Belegung und pädagogische Begleitung, ein inklusives Freizeitangebot und eine inklusive Personalpolitik aus. Für Menschen mit Behinderung unterschiedlicher Art (z.B. Beeinträchtigung der Mobilität oder der Sinnesorgane, Lernbeeinträchtigungen, psychische Erkrankungen etc.) sollte außerdem im Jugendwohnheim ein ihrer Behinderung entsprechendes individuelles Unterstützungsangebot bereitstehen, angefangen z.B. bei Informationsmaterialien in leichter Sprache, der Unterstützung bei der Antragsstellung gegenüber Behörden bis hin zur persönlichen Assistenz zur Bewältigung des Alltags. Das Wunsch- und Wahlrecht der Jugendlichen mit Behinderung muss dabei berücksichtigt und umgesetzt werden. Sinnvoll wäre es zudem, wenn das zuständige Personal im Jugendwohnheim bei der Beantragung, Koordinierung und Umsetzung von Unterstützungsleistungen, z.B. ausbildungsbegleitenden Hilfen, unterstützen könnte. Um Inklusion in den Jugendwohneinrichtungen auch finanziell umsetzen zu können, müssen seitens der Politik Förderungen für Investitions- und Personalkosten deutlich aufgestockt werden.

  • Sozialer Wohnungsbau

Es muss eine nachhaltige Förderstruktur für den Erhalt und die Modernisierung der Bausubstanz im Jugendwohnen sowie die Verbesserung der digitalen Infrastruktur geschaffen werden. Das zur Jahresmitte 2023 ausgelaufende Investitionskostenförderprogramm der Bundesagentur für Arbeit muss langfristig kompensiert werden, da der Sanierungs- und Modernisierungsstau in vielen Einrichtungen des Jugendwohnens hoch ist. Der Zugang zu Fördermöglichkeiten muss dabei gerade für gemeinnützige Träger vereinfacht und Förderbeträge an die aktuelle Situation am Wohnungsbaumarkt und neue energetische Standards angepasst werden. Aktuell muss sichergestellt werden, dass in allen Bundesländern im Rahmen der Umsetzung des Bund-Länder-Programms „Junges Wohnen“ die Einrichtungen des sozialpädagogisch begleiteten Jugendwohnens zugangsberechtigt sind. Es zeichnet sich derzeit ab, dass die Zugangsbedingungen für das Azubi- und Jugendwohnen nicht passen, da Förderprogramme an herkömmlichen Mieten, und nicht der im Jugendwohnen üblichen Finanzierungsstruktur mittels verhandelter Tagessätze - inklusive sozialpädagogischer Begleitung - ausgerichtet sind. Sichergestellt werden muss zudem, dass die Fördermittel ausgeglichen zwischen dem Studierenden- und Jugendwohnen aufgeteilt werden.

In der Vergangenheit und auch aktuell ist es immer wieder schwierig, bestehende Förderinstrumente in den Jugendwohneinrichtungen zu nutzen. Das Azubis- und Jugendwohnen bietet jungen Menschen in Ausbildung bezahlbaren und sozialpädagogisch geförderten Wohnraum. Die Wohnheimplätze werden teilweise über die Jugendhilfe, teilweise über die Arbeitsförderung und teilweise über Pauschalen der Länder im Rahmen der Blockschulförderung finanziert. Etwa bei den Corona-Hilfen und auch jetzt, beim neuen Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ zur Investitionskostenförderung, ist der Zugang für die Einrichtungen schwierig bis unmöglich, da nicht mit herkömmlichen „Mieten“, sondern mit „verhandelten Tagesentgelten“ nach dem Prinzip der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet wird. Zudem sind Förderungen immer wieder nur auf eine Bewohner*innengruppe zugeschnitten (derzeit oft duale Auszubildende, die BAB-berechtigt sind). Da aber viele Häuser gemischte Belegungen aufweisen, können die Förderprogramme oft nicht beansprucht werden. Gerade im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, bzw. der Jugendsozialarbeit, gibt es bisher keine strukturerhaltenden Förderungen.  

  •  Pilotprojekte für das Azubi- und Jugendwohnen im ländlichen Raum

Das regionale Passungsproblem ist einer der wesentlichen Gründe, warum Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. Im ländlichen Raum könnte ein dezentral organisiertes Angebot des Azubi- und jugendwohnens Mobilität und Passgenauigkeit am Ausbildungsmarkt verbessern. Neben Wohnraum für Auszubildende wird zudem durch das Angebot der sozialpädagogischen Begleitung eine Willkommenskultur geschaffen. Die jungen Bewohner*innen werden bei Verselbständigung und Persönlichkeitsentwicklung unterstützt, Motivation und Durchhaltevermögen in der Ausbildung gestärkt. Ohne Fördermittel können Pilotprojekte jedoch durch die gemeinnützigen Träger des Jugendwohnens im ländlichen Raum nicht gestartet werden.

Das Jugendwohnen ist eine besondere und traditionsreiche Wohnform, die jungen Menschen beim Start in die Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit wertvolle Unterstützung bietet und den weiteren Lebensverlauf positiv prägen kann. Die Landschaft des Jugendwohnens ist heterogen und entwickelt sich stetig weiter. Die Träger des Azubi- und Jugendwohnens stellen sich dabei auch weiterhin gemeinsam der Herausforderung, jungen Menschen auch in Zukunft ein gutes Zuhause für die Zeit der Schul- und Berufsausbildung zur Verfügung zu stellen.

Weitere Informationen:

Weitere Informationen zum Jugendwohnen gibt es zum Beispiel auf der Homepage des Verbands der Kolpinghäuser, bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit und der Initiative AUSWÄRTS ZUHAUSE, die auch eine bundesweite Suche nach Einrichtungen des Azubi- und Jugendwohnens anbietet. Als Ansprechpartnerin ist Alissa Schreiber, Referentin Jugendwohnen beim VKH, unter der Mailadresse schreiber@kolpinghaeuser.de zu erreichen.

Wir bedanken uns für den Gastbeitrag bei Franziska Romeis und Alissa Schreiber vom Verband der Kolpinghäuser