Nach Hessen und Sachsen-Anhalt richtet Brandenburg als drittes Bundesland das Amt des/der Kinder- und Jugendbeauftragten ein. Diese*r soll sicherstellen, dass Kinder- und Jugendliche eine stärkere Lobby für ihre Interessen in der Landesregierung erhalten.
Interview mit Sebastian Schiller, Leiter der bundesweiten Fachstelle Kinder- und Jugendbeteiligung des Deutschen Kinderhilfswerkes e.V (DKHW)
(14. 10.2020)
Am 24.09.2020 wurde durch den Landtag Brandenburg beschlossen, eine*n Landes-Kinder- und Jugendbeauftragte*n einzusetzen. Wie ist diese Entwicklung aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes einzuschätzen?
Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes ist es sehr zu begrüßen, dass der Landtag Brandenburg beschlossen hat, eine*n Landes-Kinder- und Jugendbeauftragte*n einzusetzen. Die Vertretung von Interessen von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene stellt einen wichtigen Baustein für eine verbesserte Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Brandenburg dar, und kann dazu beitragen, das Land insgesamt kinderfreundlicher zu machen. Auch wenn Brandenburg bei diesem Thema – im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern – gut aufgestellt ist, wie der "Kinderrechte-Index" des Deutschen Kinderhilfswerkes Ende 2019 gezeigt hat, so gibt es doch auch hier noch deutliches Verbesserungspotential.
Von zentraler Bedeutung für das Gelingen der Arbeit eines*r Landes-Kinder- und Jugendbeauftragte*n ist ihre bzw. seine Unabhängigkeit. Auch wenn die Geschäftsstelle im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport angesiedelt sein wird, so ist sicherzustellen, dass die / der Beauftragt*e keinen politischen und administrativen Weisungen unterliegt, sondern vielmehr die Tätigkeit auf Basis der Rahmensetzung durch den Landtagsbeschluss frei ausüben und gestalten kann. Nur diese Unabhängigkeit, zu der auch eine festgeschriebene Dauer des Mandats gehört, garantiert, dass die Stelle tatsächlich in die Lage versetzt wird, die Interessen der Kinder und Jugendlichen zu vertreten – und nicht die Interessen von Politik oder Verwaltung. Das ist im Grunde das gleiche Prinzip wie bei der Gewaltenteilung – Gerichte bspw. sind ja auch unabhängig, und nicht an Weisungen der Regierung gebunden.
Mit welchen konkreten Themen sollte sich ein*e Kinder- und Jugendbeauftragte*r beschäftigen? Welche Hauptaufgaben gibt es und wo sollten – ausgehend von der Situation der Kinderrechte in Brandenburg – erste Schwerpunkte gesetzt werden?
Aktuell besteht sicher eine große Herausforderung darin, in Zeiten der Corona-Krise die Kinder und Jugendlichen nicht aus dem Blick zu verlieren – was derzeit viel zu oft passiert. Ihre Interessen und Bedarfe müssen bei Beschlüssen zu Kita und Schule, aber auch in Angelegenheiten, die sie mittelbar betreffen, berücksichtigt werden, was nur durch ihre direkte Beteiligung erreicht werden kann. Diese Beteiligung muss, wenn es beispielsweise um Schulen geht, sowohl auf Landesebene über die Landesschülervertretung als auch direkt vor Ort durch die bereits gegebenen Strukturen sichergestellt werden. Gleichzeitig sollten bei Bildungsgipfeln alle Einrichtungen der Bildungslandschaft mitgedacht und einbezogen werden, also Bildungsangebote in Schulen, Ausbildung und im non-formalen Bereich. Die/der Kinder- und Jugendbeauftragte muss dieses Thema weit oben auf die Agenda setzen.
Darüber hinaus, denn Kinder sind nicht nur Schülerinnen und Schüler, stellen aus unserer Sicht die drei tragenden Säulen der UN-Kinderrechtskonvention – die Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte – auch für die/den Beauftragte*n die Leitlinie des Handelns dar. In Sachen Beteiligung hat sich in Brandenburg auf der kommunalen Ebene in den letzten Jahren einiges in die richtige Richtung entwickelt; hier sollte sich die/der Beauftragte dafür einsetzen, dass die bestehenden strukturellen und finanziellen Unterstützungsleistungen des Landes für die kommunale Ebene langfristig abgesichert werden. Entwicklungspotential besteht aber sicher noch in einer stärkeren Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Landespolitik. Hier könnte die/der Beauftragte zu einer jährlichen Kinder- und Jugendkonferenz einladen, um die engagierten Kinder und Jugendlichen aus dem Land miteinander zu vernetzen, und sie in ein kontinuierliches Gespräch mit Landespolitik und -verwaltung zu bringen.
Im Schutz- und Förderbereich fällt die hohe Armutsgefährdungsquote der Kinder auf; diese kann ein*e Beauftragt*e natürlich nicht alleine beseitigen, aber ein zentrales Anliegen sollte sein, im Sinne der Interessen der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen auf das Handeln der Landesregierung einzuwirken. Konkrete erste Schritte wären die Einführung eines landesweiten kostenlosen Schülertickets, sowie die Kostenbefreiung der Lernmittel in der Schule.
Zu den wichtigen Aufgaben einer Landesstelle zählt sicher auch, direkt von Kindern und Jugendlichen eingebrachte – oder auf anderem Wege übermittelte – Beschwerden hinsichtlich Kinderrechtsverletzungen zu bearbeiten bzw. sie an die zuständigen Stellen weiterzuleiten. Das öffentliche Berichten zur Situation der Kinder und Jugendlichen in Brandenburg sollte sich nicht – wie im Beschluss vorgesehen – auf eine Gesamtdarstellung in jeder Legislatur beschränken, sondern stattdessen untersetzt werden von einem kontinuierlichen Monitoring.
Welche personelle und funktionelle Ausstattung sollte die Stelle haben, um wirklich wirksam zu sein?
Zunächst muss ich nochmal betonen: Brandenburg ist zwar nicht das erste Bundesland mit einer solchen Stelle ( das war Nordrhein-Westfalen von 1989-2002), und auch nicht das einzige, wo solch eine hauptamtliche Stelle derzeit existiert ( auch Sachsen-Anhalt hat einen Kinder- und Jugendbeauftragten), aber hinsichtlich der Tatsache, das für die/den Beauftragte*n eine eigene Geschäftsstelle eingerichtet werden soll, steht Brandenburg gut da, was die angestrebten Ressourcen betrifft. Ganz wichtig ist natürlich, dass die Mittel für die Ausstattung der Geschäftsstelle nicht in anderen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit gekürzt werden! Hinsichtlich der Ausstattung sind zwei zusätzliche Referent*innenstellen und eine Sachbearbeitungsstelle das Minimum; hinzu kommen ausreichend Projektmittel, beispielsweise für eigene Veranstaltungen oder Studien.
Mit der Einrichtung der Stelle müsste rechtlich gewährleistet werden, dass sämtliche für die Arbeit erforderlichen Informationen aus den Ministerien und nachgeordneten Behörden des Landes sowie der Kommunen angefordert werden können und auch zur Verfügung gestellt werden müssen. Ebenso muss der direkte Zugang zum Landeskabinett, und damit zur zentralen politischen Schaltstelle Brandenburgs, abgesichert sein.
Welche Ratschläge gibt es aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Strukturen, Vereinen und Verbänden?
Die/der Kinder- und Jugendbeauftragte soll natürlich keine Parallelstruktur zu vorhandenen Akteur*innen sein, vielmehr soll er*sie bestehende Strukturen ergänzen! Da, wo andere aufgrund ihrer Tätigkeiten in der kommunalen Praxis bessere Zugänge zur Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen vor Ort haben, wo sie etwa als Jugendhilfeträger, als Bildungsträger, als Wohlfahrtsverband oder Kinder- und Jugendverband je eigene Blickwinkel und auch eigene Interessen haben, kann die/der Beauftragte gemeinsam mit diesen Akteur*innen als übergeordnete*r Interessenvertreter*in der Kinder und Jugendlichen wichtige Themen direkt in Landespolitik und -verwaltung hineintragen, und für eine stärkere öffentliche Betrachtung sorgen.
Weitere Informationen:
Beschluss des Landtages Brandenburg zu Kinder- und Jugendbeauftragten (PDF zum Parlamentsdokument)
Kinderrechte-Index Brandenburg (PDF des DKHW)
Quelle: Landesjugendring Brandenburg
Interview veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Landesjugendringes Brandenburg - Oktober 2020.