Die 14- bis 17-Jährigen sind besorgter denn je
Die Vielzahl von Krisen und Problemen wie Kriege, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel, die sich mitunter überlagern und verstärken, stimme die Jugendlichen laut Studie in ihrem Allgemeinbefinden ernster und besorgter denn je. Die Sorge um Umwelt und Klima, die schon in der Vorgängerstudie 2020 als virulent beschrieben wurde, wachse in der jungen Generation weiter an. Auch die Verunsicherung durch die schwer einzuschätzende Migrationsdynamik und die dadurch angestoßene Zunahme von Rassismus und Diskriminierung sei unter jungen Menschen beträchtlich. Und nicht zuletzt sei für viele Jugendliche der Übergang ins Berufs- und Erwachsenenleben aufgrund der unkalkulierbaren gesellschaftlichen Entwicklungen angstbesetzt.
Die Teenager haben ihren Optimismus und ihre Alltagszufriedenheit dennoch nicht verloren. Viele würden sich eine (zweck)optimistische Grundhaltung bewahren und schauen für sich persönlich positiv in die Zukunft. Viele der befragten Jugendlichen hätten „Copingstrategien“ entwickelt und wirkten insgesamt resilient. Fast niemand sei unzufrieden mit dem eigenen Alltag – aber nur wenige seien enthusiastisch. Eine Rolle spiele dabei, dass die Befragten „seit sie denken können“ mit vielfältigen Krisen leben. Entsprechend werde ihr Optimismus nicht eingeschränkt durch die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es so für sie nie gab. Vielen gehe es nach eigener Auskunft gut, weil ihre Grundbedürfnisse gedeckt sie sozial gut eingebunden seien. Die Weltsicht der jungen Generation entspräche keineswegs dem Klischee der verwöhnten Jugend, sondern sei von Realismus und Bodenhaftung geprägt. Das würden auch die angestrebten Lebensentwürfe zeigen.
Die „bürgerliche Normalbiografie“ als Leitmotiv
An der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Halt und Geborgenheit und der hohen Wertschätzung von Familie habe sich nichts geändert. Dieses als „Regrounding“ bekannte Phänomen sei nach wie vor ein starker Trend. Der Aspekt des Bewahrenden und Nachhaltigen sei für viele Jugendliche sogar noch wichtiger geworden. Auch der Rückgang des einstmals jugendprägenden Hedonismus und der damit einhergehende Bedeutungsverlust jugendsubkultureller Stilisierungen halte an. Das zeige sich auch im Streben nach der „Normalbiografie“ und in der Renaissance klassischer Tugenden. Was viele wollen, sei einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Wie würden von einer glücklichen und feste Partnerschaft oder Ehe mit Kindern, Haustieren, eigenem Haus oder Wohnung, gutem Job und genug Geld für ein sorgenfreies Leben träumen.
Gleichzeitig nehme die Akzeptanz von Diversität nimmt zu. Die Jugendlichen seien „aware“, aber nicht „woke“. Im Wertespektrum der jungen Generation seien neben Sicherheit und Geborgenheit (Familie, Freunde, Treue) besonders soziale Werte wie Altruismus und Toleranz stark ausgeprägt. Auffällig sei, dass zunehmend deutlicher nicht nur die Toleranz in Bezug auf unterschiedliche Kulturen als Selbstverständlichkeit betont werde, sondern auch die Akzeptanz pluralisierter Lebensformen und Rollenbilder (Diversität).
Schule kann Diskriminierung und Ungleichheiten nicht begegnen
Die aktuellen politischen Krisen (wie Krieg oder Inflation) würden von den Jugendlichen registriert, emotional stärker treibe sie allerdings der Klimawandel und Diskriminierung um. Gerade Diskriminierung gehöre für viele zum Alltag, insbesondere in der Schule. Unabhängig von Schultyp und Herkunft hätten die meisten Jugendlichen Diskriminierung schon selbst erlebt oder im unmittelbaren Umfeld beobachtet. Die Institution Schule könne dem Problem oftmals nicht sachgerecht begegnen.
Die Jugendlichen seien sehr sensibel für strukturelle Ungleichheiten. Sie beobachten und kritisieren offene oder verdeckte Diskriminierung. Demokratische Bildung und Praxis scheint in den Schulen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Viele Jugendliche sehen Schule nicht als Ort, wo sie Mitbestimmung lernen und wirklich gehört werden. Nicht wenige der Befragten sprechen spontan die Ungleichheit der Bildungschancen an: Sie nehmen wahr, dass vor allem die soziale Lage über den Bildungserfolg mitentscheidet und sehen besonders migrantische Familien im Nachteil.
Das politische Interesse und Engagement der Jugendlichen ist limitiert
Die Jugendlichen hätten ein Bewusstsein für soziale Ungleichheit, würden aber kein gesteigertes Interesse an diesem Thema zeigen. Dasselbe treffe auf das Thema Politik generell zu. Eine gestiegene Politisierung der Jugendlichen im Vergleich zur letzten Erhebung 2020 sei nicht festzustellen. Eher habe Politik trotz der allgegenwärtigen Krisen einen geringen Stellenwert in ihrem Leben.
Das Bewusstsein für politische Themen werde vor allem durch deren mediale Präsenz beeinflusst, aber selten fühle man sich persönlich betroffen (Ausnahme: Klimakrise, Diskriminierung). Krisen würden einen Teil der Jugendlichen, wenn auch nur kurzfristig (z.B. Gespräche mit Vertrauten, Info-Recherchen) aktivieren und führten kaum zu langfristigem politischem Engagement. Der andere Teil der Jugendlichen tendiere zur Verdrängung, weil er sich kognitiv oder emotional überfordert fühle.
Hauptgründe für die Distanz zu politischen Themen und Beteiligungsformen seien die gefühlte Einflusslosigkeit und die als gering empfundene persönliche Kompetenz. Die Mehrheit der Jugendlichen befürwortet das Wahlrecht ab 16 Jahren. Einige fühlen sich aber nicht ausreichend dafür vorbereitet.
Jugendliche wollen gehört und ernstgenommen werden, aber nicht alle wollen mitgestalten
Die Mehrzahl der Jugendlichen, quer durch alle Lebenswelten, möchte mitreden und Gehör finden – ob in der Familie, im (Sport)Verein, in der Jugendgruppe oder der religiösen Gemeinschaft. Was aber Mitbestimmung und Mitgestaltung angeht, sind die Einschätzungen kontrovers und, insbesondere hinsichtlich der angenommenen Erfolgschancen, stark lebensweltlich geprägt. Barriere Nr.1, an der Mitsprache und Mitgestaltung der jungen Generation oft scheitern, sind „die Erwachsenen“, von denen sich viele Jugendliche nicht ernstgenommen und respektiert fühlen.
Awareness für Fake News und die negativen Folgen des Social Media-Konsums
Ein Leben ohne Social Media (insbesondere TikTok, Instagram und YouTube) sei für die meisten Jugendlichen nur schwer vorstellbar. Soziale Medien würden zum Zeitvertreib, zur Inspiration für Lifestyle-Themen und zum Socializing genutzt – aber auch als Tool, um Themen und Dinge, die Sinn im Leben geben, (besser) kennenzulernen und zu verfolgen. Soziale Medien seien für die meisten Teenager die bei weitem wichtigste Informationsquelle. Dies gelte auch für politische Nachrichten, die meist zufällig – sozusagen als „Beifang“ – rezipiert werden. Vorteile der Informationsaufbereitung in den sozialen Medien seien aus Sicht der Jugendlichen ihre Aktualität, ihre gute Verständlichkeit (Prägnanz) und ihr Unterhaltungswert.
Die Gefahr, Falschinformationen, Übertreibungen und manipuliertem Content ausgesetzt zu sein oder sich in Filterblasen zu bewegen, sei den befragten Jugendlichen bewusst. Die meisten gingen davon aus, Fake News zu erkennen, vor allem mittels „gesundem Menschenverstand“. Seien Jugendliche mit Fake News konfrontiert, würden diese meist ignoriert. Aktive Recherchen zur Glaubwürdigkeit oder Richtigkeit von Beiträgen, Nachrichten oder Meldungen kämen eher selten vor. Die Auswirkungen des Social Media-Konsums auf das eigene Befinden und die (psychische) Gesundheit sähen viele der befragten Jugendlichen durchaus kritisch. Viele haben das Gefühl, zu viel Zeit in den sozialen Medien zu verbringen, was ihnen - wie sie glauben - nicht guttut: „verplemperte Lebenszeit“, Reizüberflutung, Suchtverhalten und Stress auch durch den Vergleich geschönter Darstellungen im Internet mit der eigenen (körperlichen und sozialen) Realität. Auch wenn vieles in den sozialen Medien nicht hinterfragt bzw. unkritisch konsumiert würde, zeige sich in der jugendlichen Zielgruppe ein wachsendes Unbehagen. Viele (v.a. bildungsnahe) Jugendliche versuchen inzwischen, ihre Social Media-Nutzung zu begrenzen bzw. aktiv zu steuern.
Trotz des DigitalPakts Schule bleibe die Digitalisierung von Schulen uneinheitlich und werde von vielen Jugendlichen als unzureichend empfunden. Jugendliche wünschten sich oft mehr Engagement von Lehrkräften, wenn es um die Integration digitaler Elemente im Unterricht geht. Oftmals hätten sie das Gefühl, die Lehrkräfte seien gegenüber digitalen Möglichkeiten nicht aufgeschlossen genug.
Sport als „Droge gegen Stress“
Auch Sport und Bewegung diene Jugendlichen, um dem Alltagsstress entgegenzuwirken und Probleme zu vergessen. Auf die Nachfrage, welche Rolle Sport und Bewegung für das eigene Wohlbefinden spiele, berichten die meisten – unabhängig von Geschlecht, Bildung und Lebenswelt – von einem „guten Gefühl“, das sich sowohl während als auch nach dem Sport einstelle. Zudem stehe das Motiv der Vergemeinschaftung im Fokus: Sport- und Bewegungsstätten seien für Jugendliche wichtige Orte der Begegnung und des Zusammenkommens. Aber: Viele beklagen, dass es ihnen an öffentlichen Bewegungsorten fehle.
Die Studie kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Quelle: SINUS-Institut vom 12.06.2024