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Home > Eigenständige JugendpolitikRückblick zum Fachtag 10 Jahre Eigenständige Jugendpolitik

Aus der Nische ins Rampenlicht? - So lautete der Titel des Fachtags, welcher sich dem Politikansatz der Eigenständigen Jugendpolitik widmete. In einem Resümee werden Impressionen und Erkenntnisse gebündelt.

Foto Plenum Fachtag Foto Plenum Fachtag
Foto: J. Farys

10 Jahre Eigenständige Jugendpolitik - Aus der Nische ins Rampenlicht?

Ende Oktober 2019 fand in Berlin ein Fachtag zum 10-jährigen Jubiläum der Eigenständigen Jugendpolitik statt. Denn 2009 wurde die Eigenständige Jugendpolitik das erste Mal im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien erwähnt und im selben Jahr hatte das Bundesjugendkuratorium eine neue, auf die Jugendphase ausgerichtete Politik gefordert und beschrieben (pdf Stellungnahme).

TAGUNGSRÜCKBLICK

85 Interessierte aus Jugendhilfe, Wissenschaft, Verwaltung und Politik von der Kommune bis Europa kamen am 30. Oktober 2019 zusammen und diskutierten über Erreichtes und über Status Quo sowie die Zukunft der Eigenständigen Jugendpolitik. Nach einem ausführlichen Rückblick aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ und aus Perspektive des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurden der Umsetzungsstand und aktuelle Herausforderungen in einer Podiumsdiskussion reflektiert. Im Anschluss wurden in fünf Dialogrunden mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren einige jugendpolitische Themenfelder in den Blick genommen und über Handlungsbedarfe gesprochen.

Im Folgenden findet sich ein kurzer Einblick in das Tagungsprogramm mit einer Zusammenfassung der Beiträge, Diskussionen und Erkenntnisse.

Entwicklungsschritte und Meilensteine: Einführung von Prof. Dr. Karin Böllert, Vorsitzende der AGJ

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Die AGJ-Vorsitzende benannte in ihrer Einführung wesentliche Meilensteine der Eigenständigen Jugendpolitik, die Wegbereiter für den konkreten Anfangspunkt 2009 sowie die wichtigsten Entwicklungen bis zum heutigen Stand. Als Tagungsmaterial wurde begleitend ein Zeitstrahl genutzt, der einen Überblick zu Aktivitäten, Papieren und Maßnahmen bot.

Grußwort von Bettina Bundszus, Abteilungsleiterin Kinder und Jugend im Bundesjugendministerium

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Bettina Bundszus verdeutlichte die Bedeutung des Ansatzes einer Eigenständigen Jugendpolitik und beschrieb die Aktivitäten des BMFSFJ, welches im Rahmen seiner Jugendstrategie (2015-18) viele jugendpolitische Maßnahmen umgesetzt hat. Seinen Einsatz für jugendpolitische Ziele und Jugendbeteiligung zeige das BMFSFJ unter anderem mit der neuen Jugendstrategie und den regelmäßigen Jugendpolitiktagen, so die Abteilungsleiterin.

Podiumsdiskussion „Aus der Nische ins Rampenlicht? Erreichtes, Gegenwart und Zukunft Eigenständiger Jugendpolitik“

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Mit:
Prof. Dr. Karin Böllert, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ;
Bettina Bundszus, Abteilungsleiterin Kinder und Jugend, Bundesjugendministerium;
Lisi Maier, Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings;
Jürgen Schattmann, Leiter der Gruppe Jugend, Familienministerium Nordrhein-Westfalen


Das Gespräch nahm die Entwicklungen der letzten zehn Jahre in den Blick – was ist gelungen, wo sind Leerstellen, wo Herausforderungen. Zudem wurde danach gefragt, welche Erwartungen an Jugendpolitik sich für die kommenden Jahre ergeben. In der Diskussion wurde eine breite, wirkungsvolle Jugendbeteiligung als Kernstück Eigenständiger Jugendpolitik benannt. Außerdem wurde der Reformprozess des Jugendhilfegesetzes (Sozialgesetzbuch VIII) als wichtiger Ort jugendpolitischer Entscheidungen in die Debatte eingebracht. Die aktuelle Jugendbewegung „Fridays for Future“ erhielt große Wertschätzung für ihr Engagement - besonders von Interesse war, wie diese aktuellen Entwicklungen auch eine Eigenständigen Jugendpolitik weiterbringen können.
 

Dialogrunden „Neue Impulse – Neue Chancen für die Eigenständige Jugendpolitik“

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In den Dialogrunden stellten sich verschiedene Akteure und Organisationen vor und brachten ihre Themen in Zusammenhang mit der fortlaufenden jugendpolitischen Debatte. Die Ergebnisse der Dialogrunden fließen in die Weiterentwicklung Eigenständiger Jugendpolitik ein. Im Folgenden werden die wichtigsten Thesen der Diskussionen kurz zusammengefasst.

Neue Sprachlosigkeit? Das Verhältnis von Jugend und Politik   

Impuls: Fridays for Future Bielefeld
Thesen aus der Diskussion:

  • Die Klimabewegung repräsentiert nicht „die Jugend“, aber die Klimakrise ist ein wichtiges Thema junger Menschen.
  • Bestehende Jugendstrukturen schaffen wertvolle Grundlagen für das weiteres Engagement.
  • Demokratische Prozesse sind oft langwierig – bei hohem Handlungsdruck werden Prozesse als unbefriedigend erlebt.
  • Jugendbeteiligungsprozesse sind häufig nicht nachhaltig organisiert und Ergebnisse werden nicht in den Dialog aufgenommen.
  • Kommunikationsstrategien der Politik suggerieren jungen Menschen, nicht ernstgenommen zu werden.

Zufrieden? Stellenwert und Umsetzungsstand von Jugendbeteiligung 

Impuls: Jugend Macht Zukunft (Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt)
Thesen aus der Diskussion:

  • Jugendbeteiligung wird noch zu oft ohne ernsthafte Absichten umgesetzt. Sie bleibt häufig folgenlos.
  • Es braucht Konstruktivität, ernst gemeinte Kritik und zeitnahe Rückmeldungen an Jugendliche.
  • Jugendbeteiligung ist eine Haltungsfrage: Politik sollte echte Macht an Jugendliche abgeben wollen.
  • Es braucht einen Dialog auf Augenhöhe, der auf Respekt und Wertschätzung basiert.

Nachhaltig Jugendgerecht! Generationengerechtigkeit und Jugendpolitik
Impuls: Landesseniorenbeirat und Landesjugendring Mechlenburg-Vorpommern
Thesen aus der Diskussion:

  • Die Folgen des demografischen Wandels betreffen alle Altersgruppen. Insofern wäre es sinnvoll, intergenerationale Formate anzubieten und den gegenseitigen Austausch anzuregen.
  • Jugendliche Mitsprache sollte rechtlich vorgesehen werden, politische Vorhaben sollten transparent sein und Jugend immer mitgedacht werden.
  • Wichtige Anforderungen für generationenspezifische Lobbyarbeit sind: Überparteilichkeit und Unabhängigkeit, Vorurteile beim Gegenüber abzubauen und (Nicht)Finanzierbarkeit nicht als Ausrede hinzunehmen.

Raum für Jugend! Freiräume und Selbstpositionierung
Impuls: Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen e.V.
Thesen aus der Diskussion:

  • Offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als ein unverzweckter und selbstbestimmter Freiraum, allerdings begrenzen sich die Interessen junger Menschen nicht auf Angebote der Jugendarbeit.
  • Freiräume werden in besonders relevanten Politikbereichen wie Schule, Bildung und Arbeit noch nicht ausreichend diskutiert.
  • Durch ihr partizipatives, pädagogisches Wirken ist Jugendarbeit eine wesentliche Akteurin dafür, dass sich junge Menschen selbstorganisiert und engagiert aktiv an einer jugendgerechten Entwicklung ihrer Kommunen beteiligen können.

Jugendpolitik 2.0! Wir müssen über Digitalisierung reden

Impuls: Open Knowledge Foundation Deutschland
Thesen aus der Diskussion:

  • Netzpolitik ist ein Zukunftsthema und besonders wichtig für junge Menschen. Digitales ist allgegenwärtig.
  • Ziel muss sein, die Sprachlosigkeit zwischen Jugend und Politik auch im digitalen Raum zu überwinden.
  • Themen der Digitalisierung (Datenschutz, Urheberrecht, Verbraucherschutz, Jugendschutz o. Ä.) sind entweder aus Sicht
    der jungen Menschen zu betrachten oder junge Menschen sind direkt an Entscheidungsprozessen zu diesen Themen zu beteiligen.
  • Digitalisierung sollte in allen Bildungseinrichtungen eine große Rolle spielen, nicht nur in Schule, auch in der Jugendarbeit.
  • Unter Jugendbeteiligung könnte ein „ThinkTank Digitalisierung & Jugend“ initiiert werden, der relevante Themen operationalisiert.
  • Im Grunde bräuchte es einen „Digitalpakt Jugend“, der digitale Rahmenbedingungen verbessert.

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RESÜMEE

Der Fachtag am 30. Oktober 2019 ermöglichte einen umfassenden Blick auf die jugendpolitischen Bemühungen der letzten 10 Jahre. Mit „neuen und alten“ jugendpolitischen Akteurinnen und Akteuren wurden intensive Gespräche über Grundsätze Eigenständiger Jugendpolitik geführt und diskutiert, wie diese im Verhältnis zu aktuellen gesellschaftlichen Themen stehen. Im Folgenden werden die Erkenntnisse des Tages resümiert.

Was ist passiert in 10 Jahren Eigenständiger Jugendpolitik, was wurde erreicht und was hat sich verändert?

Eigenständige Jugendpolitik hat eine spannende Entwicklung hinter sich: nach intensiven Fachdiskussionen wurde sie ein fester Begriff, sie wurde grundsätzlich definiert und anschließend in vielen Einzelvorhaben umgesetzt. Sie ist ein Prozess. Vorhaben werden abgeschlossen, neue Maßnahmen und Initiativen beginnen. Eigenständige Jugendpolitik entwickelt sich fortlaufend weiter und wächst an sich selbst und ihren Akteurinnen und Akteuren. Ihre Themenfelder sind so umfassend, dass sie immer gesamtgesellschaftlich relevant sind. Das heißt, dass alles, was die Gesellschaft bewegt, auch Jugend beschäftigt. Allerdings muss auch alles was Jugend bewegt, nun die Gesellschaft beschäftigen. Zum Teil passiert das schon, beispielsweise mit Fridays for Future. Auch wenn die Klimakrise immer wieder thematisiert wurde, waren es doch junge Menschen, die hartnäckig genug waren, um dem Thema einen hohen Stellenwert in der Politik zu verschaffen. Aber kann Eigenständige Jugendpolitik langfristig tatsächlich ermöglichen, dass Jugendliche mit ihren Themen mehr von Erwachsenen gesehen werden und in Entscheidungsprozessen mehr Beachtung finden?

10 Jahre Fachtag Erkenntnisse

Welche Visionen gibt es für eine wirklich erfolgreiche Jugendpolitik?  

Breite und generationenübergreifende Bündnisse
Eigenständige Jugendpolitik hat sich verändert, sie hat sich ausgebreitet und eine größere Relevanz entfaltet. Sie ist dabei, sich aus der Nische zu bewegen und sich auch bei Akteuren ohne jugendpolitisches Interesse Gehör zu verschaffen. Sie hat sich ausprobiert und sich auf die Suche begeben – nach Mitstreitenden, nach geeigneten Formaten und nach den dringlichsten Themen. Unter anderem sind hier Digitalisierung und Europa zu nennen. Diese – wie die meisten jugendpolitischen Themen – betreffen die gesamte Gesellschaft. Insofern ist ein generationenübergreifender Dialog in den meisten Fragen unbedingt notwendig. So können sich breite Allianzen finden, die umso stärker auftreten und eine größere Wirkung entfalten können.

Freie Gestaltung eigener Räume und Zeiten
Jugendarbeit ist und bleibt ein wichtiger Schlüssel in der Eigenständigen Jugendpolitik als eine Wegbereiterin zur Beteiligung von jungen Menschen, um einen Dialog von Jugend und Politik zu ermöglichen. Sie ist der Ort, wo Freiräume geschaffen werden und sowohl Jugendliche als auch Fachkräfte sich mit aktuellen Themen auseinandersetzen können – ob Umweltschutz, Digitalisierung oder Demokratie. Junge Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre Räume – ob digital oder analog – zu großen Teilen selbst zu gestalten. Sie müssen sich mit der Umgebung, in der sie leben, identifizieren können.

Wirksame Jugendbeteiligung als Kernstück
Hierzu ist es unbedingt notwendig, sie in ihrer Vielfalt zu beteiligen und dafür geeignete Wege zu finden. Es muss eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen von Jugendbeteiligungsprozessen stattfinden. Qualitätsstandards für Jugendbeteiligung müssen stets eingehalten werden, damit gut gemeinte Beteiligungsmöglichkeiten nicht ins Leere laufen.

Strukturelle und gesetzliche Verbindlichkeit
Eigenständige Jugendpolitik sollte verbindlicher umgesetzt werden, sie sollte institutionalisiert und gesetzlich verankert werden – auf allen Ebenen. Sie muss sich auf sicherem Boden weiterentwickeln können. So dass irgendwann das Tragen der „Jugendbrille“ eine Selbstverständlichkeit ist.

Jugendpolitik als Politikfeld braucht auch in Zukunft einen dauerhaften gesellschaftlichen Diskurs – generationen-, ressort- und ebenenübergreifend.

WEITERLESEN
Eine ausführliche Tagungsdokumentation steht hier als PDF zur Verfügung.