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(11.05.2020) Auch die Jugendpolitik reagiert auf die Corona-Pandemie. Wir haben zentrale Stellungnahmen und Forderungen in den Blick genommen. (Ursprünglich am 9. April erschienen)

Junge mit Mund-Nasen-Maske Junge mit Mund-Nasen-Maske
Foto: Gryffyn via unsplash

Am 30.April hat die Evangelische Jugend auf die Folgen der anhaltenden Kontakt- und Bildungseinschränkungen für junge Menschen hingewiesen. Beengte Wohnräume, Einkommens- und Bildungsarmut, familiäre Konflikte und mögliche Gewalterfahrungen können sich in diesen Zeiten zu besonderen Problemlagen entwickeln. Die für die Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit so wichtigen Verselbstständigungsprozesse Jugendlicher im Austausch mit Gleichaltrigen sind gerade massiv eingeschränkt, "erwachsenenfreie" Begegnungsmöglichkeiten quasi nicht vorhanden. Digitale Formate werden zwar genutzt, auch durch die Jugendarbeit, können aber die Begegnung in einer Gleichaltrigen-Gruppe nicht ersetzen. Die Evangelische Jugend fordert von Politik und evangelischen Trägern verantwortliches Handeln, um Schutzaspekte, gesundheitliche Aspekte und soziale Aspekte in eine Balance zu bringen. Konkret wird der Zugang zu Spielplätzen und öffentlichen Sportanlagen gefordert, eine Berücksichtigung von Kinder- und Jugendgottesdiensten bei der Öffnung der Kirchen für Gottesdienste, Angebote für die Freizeitgestaltung, v.a. durch die offenen Einrichtungen der Jugendarbeit. Zudem muss mit Blick auf die Sommerferien über die Möglichkeit von Jugendarbeit nachgedacht werden, wenn Jugendfreizeiten im gewohnten Rahmen nicht stattfinden werden. Die Fachkräfte der Jugendarbeit sind aufgefordert, Ideen und Formate zu entwickeln, die es erlauben, Jugendliche zu unterstützen und Leben in Corona-Zeiten zu gestalten.

Am 29. April hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit (BAG OKJE) eine Stellungnahme zur Situation der offenen Arbeit veröffentlicht. Dabei weist die BAG auf die prekäre finanzielle Situation der Träger hin, die die Angebotsvielfalt in der Zeit nach Corona gefährdet. Alle Träger sind hingegen auf der Suche nach Perspektiven, wie es wieder zu persönlichen Kontakten mit Jugendlichen kommen kann. Die BAG kritisiert, dass die unmittelbaren Interessen und Bedürfnisse von Jugendlichen bisher wenig berücksichtigt wurden. Neben dem Recht auf Gesundheit müssen auch die Rechte auf soziale Teilhabe und Partizipation in politischen Überlegungen berücksichtigt und abgewogen werden. Die BAG kritisiert, dass die sozialen Ungleichheiten sich unter den aktuellen Bedingungen verschärfen. Junge Menschen und ihre Familien müssen aktuell Aufgaben bewältigen, die nicht alle gleichermaßen bewältigen können, was zu hohen Belastungen führen kann. In der öffentlichen Wahrnehmung wird oft ein Bild von Jugend als Risiko ("Corona-Party") konstruiert, gleichzeitig wird Jugendlichen kaum soziale Teilhabe und Partizipation ermöglicht. Die geregelte, teilweise Öffnung der Einrichtungen wäre - neben den derzeit erprobten Online-Formaten - ein wichtiger Schritt, um hier jugendliche Interessen ernstzunehmen und Jugendlichen beim Umgang mit den aktuellen Herausforderungen Unterstützung zu bieten. Die BAG OKJE entwirft zwei Szenarien zur Wiedereröffnung, unter Wahrung des gesetzlichen Auftrags der Offenen Jugendarbeit. 

Am 23. April hat der Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern darauf hingewiesen, dass die Kinder- und Jugendarbeit "weder auf noch unter dem Schirm" sei und das Sofortprogramm zur Aufrechterhaltung gesellschaftlich relevanter Netzwerke des Landes die Träger der Jugendarbeit wie Jugendverbände und Jugendringe nicht berücksichtigt habe. Für den Zeitraum von Mitte März bis Mitte April fehlen allein 200.000 € Finanzmittel, die Vielfalt der außerschulischen Angebote nach der Coronakrise sei damit gefährdet, wenn das Land nicht schnell tätig werde. 

Am 27. April hat der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB) mehr Unterstützung der Bundesregierung für die Bildungsstätten, Bildungswerke, Akademien, Heimvolkshochschulen und internationalen Begegnungsstätten gefordert, welche aufgrund der fast vollständigen Absage aller Veranstaltungen trotz bereits signalisiertem Entgegenkommen in finanzielle Nöte geraten werden. Dies gefährdet die wichtige Arbeit für die demokratische Bildung. Gleichzeitig hebt der AdB hervor, dass neue Kanäle und Konzepte entwickelt und ausprobiert werden.


Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

Am 27. März hat die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ den Zwischenruf "Wenn Kümmerer*innen selbst Hilfe brauchen... die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Kinder- und Jugendhilfe" (PDF) beschlossen. Darin wird begrüßt, dass zahlreiche Angebote der Kinder- und Jugendhilfe unter dem Schutzschirm für soziale Sicherungssysteme genommen wurden. Zudem wird das Engagement vieler junger Menschen lobend erwähnt, die sich in der Krise für Betroffene und Gefährdete engagieren - sowohl ehrenamtlich als auch als Teil ihrer Berufe in kritischen Bereichen der Infrastruktur. Viele Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bemühen sich, die soziale Infrastruktur auch unter den erschwerten Bedingungen aufrecht zu erhalten. Dennoch erkennt die AGJ drängende Herausforderungen:

So muss der Kinderschutz mit seinem im Grundgesetz verankerten Auftrag strukturell als Teil der kritischen Infrastruktur etabliert werden. Die aktuelle Praxis der Jugendämter im Krisenmanagement gestaltet sich sehr unterschiedlich und nicht immer positiv. Es bleiben viele Fragen offen, und oft wird auf Einzelfalllösungen zurückgegriffen, die nicht zur längerfristigen Orientierung geeignet sind. Zeitgleich nehmen die Inobhutnahmezahlen gerade deutlich zu. Eine Verständigung zwischen Gesundheitsschutz und Jugendabteilungen in allen Ländern wird dringend empfohlen.

Die aktuelle Situation ist für die Soziale Arbeit, die auf persönlicher Beziehungsarbeit aufbaut, besonders herausfordernd. Die AGJ begrüßt das pragmatische Vorgehen vieler Träger, die finanzielle Unterstützung für Telefon- und Onlineberatungen und die Verlagerung von datenschutzrechtlichen Fragen auf die Zeit nach der akuten Krise. Für stationäre und ambulante Hilfen zur Erziehung stellen sich große Herausforderungen mit Blick auf die Weiterarbeitsfähigkeit und das Nachhalten von Kontakten, und besonders gefährdete Gruppen drohen, aus dem Kontakt zu fallen. Zudem ist es auch besorgniserregend, wenn sich Fachkräfte aufgrund mangelnder Unterstützung oder Aufklärung krank melden und freie Träger junge Menschen ohne geklärte Situation zuhause aus der Betreuung entlassen. Die persönliche Not der Akteure ist unverkennbar, aber mit den berufsethischen Grundsätzen Sozialer Arbeit ist dies nicht vereinbar. Die öffentlichen und freien Träger sind hier besonders gefordert, ihrer Verantwortung als Arbeitgeber gerecht zu werden. Neue Krise in den Familien und im Unterstützungssystem werden die Jugendhilfe über die Dauer der Pandemie hinaus herausfordern.

Da gemeinnützige Träger keine Rücklagen bilden dürfen, gibt es nun existenzielle Sorgen bei Leitungs- und Fachkräften. Das Sozialschutzpaket sorgt für große Erleichterung, die jetzt beschlossenen Maßnahmen müssen aber gegebenenfalls verlängert und erweitert werden. Die öffentlichen Träger müssen zudem schnell Klarstellungen zu den Regelungen beitragen, damit freie Träger nicht im bürokratischen Aufwand der Nachweispflichten untergehen.

Nicht vergessen werden sollten zudem die (analogen) Strukturen der Jugendarbeit, der Familienbildung und -freizeit - Träger, die sich durch Veranstaltungen, Schüler*innenfahrten, Bildungsangebote etc. finanzieren - diese sind ebenfalls auf Sicherungsmaßnahmen angewiesen.

Deutscher Bundesjugendring

Der Deutsche Bundesjugendring hat am 3. April eine umfassende Stellungnahme veröffentlicht. Diese würdigt einerseits das Engagement vieler junger Menschen für die Gesellschaft in der aktuellen Krisensituation und kritisiert zugleich, dass den jungen Menschen pauschal und zu Unrecht Unvernunft und Sorglosigkeit im Angesicht der Krise vorgeworfen wurde.

Junge Menschen treffen die aktuellen Regelungen zur Minimierung physischen Kontakts besonders hart und beschränken die so wichtigen Freiräume Jugendlicher, denen nun Möglichkeiten zu Austausch und zu gemeinsamen Erlebnissen fehlen. In vielen Jugendverbänden wird nun nachbarschaftliche Solidarität organisiert und zahlreiche digitale Angebote ausgerichtet. Nichtsdestotrotz erwarten junge Menschen, dass die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung verhältnismäßig sind und insbesondere die Einschränkungen elementarer Grundrechte so kurz wie möglich dauern. Staatlichem Handeln fehle ein Korrektiv, wenn die Einflussmöglichkeiten wie Versammlungen und Demonstrationen derzeit nicht möglich sind und weitere Einschränkungen wie das Tracking von Handydaten diskutiert werden.

Die aktuelle Krise trifft insbesondere Jugendliche in prekären Verhältnissen, denen nun der Zugang zu Angeboten der Jugendarbeit und Jugendhilfe fehlt. Zudem steigt in der aktuellen Situation die Gefahr der Zunahme von häuslicher  und sexualisierter Gewalt gegen Jugendliche. Umso wichtiger ist es, dass Hilfsangebote per Chat oder Telefon erreichbar bleiben und ausgebaut werden. Junge Menschen im Berufsleben bzw. in der beruflichen Ausbildung können durch die Krise auch direkt finanziell betroffen sein. Besonders riskant ist die Lage europaweit für obdachlose Jugendliche sowie junge Geflüchtete in Ankerzentren und anderen Einrichtungen mit schlechtem Zugang zum Gesundheitswesen. Als Positivbeispiel wird Portugal genannt, welches bis auf weiteres alle Asylbewerber*innen gleichbehandelt mit portugiesischen Staatsbürger*innen.

Der Deutsche Bundesjugendring kritisiert zudem die Abschottungstendenzen und die Einschränkung demokratischer Grundrechte in anderen europäischen Staaten. Die nun unterbrochenen Jugendbegegnungen müssen nach Ende der Krise wieder aufgenommen und ausgebaut werden, um die europäische Identität wieder aufzubauen und die Völkerverständigung zu stärken.

Zuletzt fordert der Bundesjugendring, nach der Krise auf eine ökonomische Transformation in Richtung einer sozial-ökologischen Gesellschaft hinzuarbeiten. Auch die sehr unterschiedlichen digitalen Teilhabechancen müssen dringend bearbeitet werden, um allen jungen Menschen gleichberechigten Zugang zu den über Nacht digitalisierten Schulinhalten zu ermöglichen. Mit Blick auf Prüfungen und anstehende Abschlüsse müssen faire, einheitliche und rechtssichere Lsungen gefunden werden. Auch während und nach der Krise erwarten junge Menschen eine gute Ausbildung mit Zukunftsperspektive.

Bundesjugendkuratorium

Das Bundesjugendkuratorium meldete sich am 24. März mit einem Zwischenruf (PDF) zur Coronakrise. Der Zwischenruf betont, dass die Jugendhilfe auch in dieser Zeit für junge Menschen und ihre Familien sichtbar und erlebbar bleibt und zeigt, dass sie Übergangslösungen finden kann, die den Ansprüchen der Krise gerecht werden und bei der Alltagsorganisation unterstützt. Hierzu sind innovative, gerade auch digitale Wege gefordert. Dazu zählen niedrigschwellige, barrierefreie Ansprechstellen für junge Menschen und ihre Familien, vor allem online. Es bedarf Unterstützung für Familien, die keine Betreuung organisieren können, sowie zielgruppenspezifische Angebote für z.B. wohnungslose junge Menschen, junge Menschen in Pflegefamilien, stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe oder in Wohngruppen. Auch die gerade flüchtenden Jugendlichen, die von den Grenzschließungen besonders betroffen sind, erleben eine Verschärfung ihrer Situation und dürfen nicht übergangen werden. Auch die finanzielle Situation junger Menschen und ihrer Familien in Zeiten von Kurzarbeit und fehlendem Einkommen darf nicht vergessen werden. Übergangslösungen werden vor allem für diejenigen jungen Menschen vonnöten, die nicht auf verlässliche private Netzwerke zurückgreifen können. Diese Herausforderungen brauchen eine gesicherte Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der freien Träger, die bei der Suche nach innovativen Wegen schnell und unkompliziert finanziell unterstützt werden müssen.

Stets aktuelle Nachrichten aus der Kinder- und Jugendhilfe zu Corona finden sich im Themenspecial des Fachkräfteportals.