Wissen
Home > Eigenständige JugendpolitikDJI: Psychisches Wohlergehen von Jugendlichen

(01.08.2024) Ob und wie junge Menschen psychische Krisen erfolgreich bewältigen, hängt laut dem Deutschen Jugendinstitut von ihrer individuellen Lebenssituation, Belastungen und Ressourcen ab. Unterstützungsangebote sollten nicht nur für erkrankte Jugendliche zu einer wirksamen Gesundheitsförderung gehören.

3 junge Frauen posieren für ein Foto 3 junge Frauen posieren für ein Foto
Foto: A. via pexels.com

An regelmäßige Mitteilungen darüber, dass Jugendliche und junge Erwachsene zunehmend unter psychischen Belastungen leiden und es von Jahr zu Jahr schlimmer zu werden scheint, habe man sich laut DJI bereits gewöhnt. Doch stimmt der in Medien und Diskussionen vermittelte Eindruck, und was folgt daraus?

Betrachtet man die Ergebnisse des bundesweit repräsentativen Surveys des Deutschen Jugendinstituts (DJI) „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A), bei dem regelmäßig über 4.000 Jugendliche und junge Erwachsene befragt werden, zeigt sich: In der AID:A Befragung 2019 beschreiben 88 Prozent der 12- bis 19-Jährigen ihren Gesundheitszustand als "sehr gut" oder "gut". Lediglich knapp 1 Prozent bezeichnet ihn als "schlecht" oder "sehr schlecht". Ein erster Blick in die vorläufigen Ergebnisse der AID:A-Befragung 2023 lässt erkennen, dass es hier keine großen Veränderungen gibt.

Diese positive subjektive Bewertung des eigenen Gesundheitszustandes unterscheide sich somit erheblich von den Ergebnissen anderer wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die allein schon bei psychischen Erkrankungen von einem 10- bis 20-prozentigen Anteil an betroffenen jungen Menschen ausgehen oder gar Werte von bis zu über 30 Prozent nennen, also das Bild einer kränkeren Jugend vermitteln. Die Differenz zwischen der Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes und der Diagnose einer Erkrankung verweise darauf, dass Gesundheit und Wohlergehen erstens unscharfe Kategorien seien und zweitens nicht jede Form von Erkrankung als ein negativer Zustand erlebt werde.

Eine Diagnose ist nicht gleichzusetzen mit dem Gefühl, krank zu sein

Dies würden auch die noch unveröffentlichten Ergebnisse der bislang größten Befragung junger Menschen in Pflegefamilien und Einrichtungen der Jugendhilfe in Deutschland zeigen, bei der das DJI einer von vier Kooperationspartnern ist. In dieser Langzeitstudie mit dem Titel „Care Leaver Statistics“ (CLS) werden wiederholt etwa 1.100 16- bis 19-Jährige befragt, die in Pflegefamilien, Heimen oder anderen betreuten Wohnformen leben. Im Jahr 2023 bejahten etwas mehr als 37 Prozent von ihnen, dass sie psychisch erkrankt seien, und zugleich beschreibt die Hälfte dieser erkrankten Jugendlichen ihren Gesundheitszustand als "ausgezeichnet" oder "gut". Dieser Befund, dass eine Diagnose nicht gleichzusetzen sei mit dem Gefühl, krank zu sein, verweise darauf, dass die Verortung auf dem Kontinuum zwischen gesund und krank von vielen Faktoren abhängig ist. Einzelne Beeinträchtigungen würden häufig nicht zu generalisiertem Unwohlsein führen.

Steigt die Belastung bei jungen Menschen, stelle sich auch die Frage der Generationengerechtigkeit. Mit Blick auf die vielfältigen Anforderungen, welche das Erwachsenwerden mit sich bringt, werde Jugendlichen oftmals eine besondere Vulnerabilität zugesprochen, also eine besondere Verletzlichkeit gegenüber negativen Umweltbedingungen und eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen. Die jungen Menschen müssen sich mit Fragen wie "Wer bin ich?" und "Wo will ich im Leben hin?" auseinandersetzen. Wer sich diese Fragen selbst gestellt hat, weiß: Die Antworten darauf finden sich weder über Nacht noch ohne Anstrengung. Anders gesagt: Das Jugendalter ist immer auch von inneren Konflikten und Krisen geprägt.

Das Jugendalter ist immer auch von inneren Krisen und Konflikten geprägt

Inwiefern junge Menschen gesund aufwachsen – das heißt Krisen erfolgreich bewältigen, anstatt unter andauernden Belastungen zu leiden –, hänge von einer Reihe von Faktoren ab. Der 13. Kinder- und Jugendbericht betont in diesem Zusammenhang, dass Gesundheitsförderung insbesondere auch die Sicherstellung ausreichender materieller, sozialer und ökologischer Ressourcen bedeute sowie "die Reduktion gesellschaftlich ungleich verteilter Risiken, Stressoren und Belastungen". Empirische Hinweise darauf, dass die psychische Belastung einzelner Bevölkerungsgruppen ansteige, seien damit zugleich ein Aufruf, sich über die gesellschaftliche Verteilung von Ressourcen und Stressoren Gedanken zu machen. Steigt die Belastung bei jungen Menschen, so stelle sich auch die Frage der Generationengerechtigkeit.

Einsamkeit ist ein Risikofaktor für die psychische Gesundheit

Einsamkeit sei ein Thema, das erst in den vergangenen Jahren vermehrt auch als Belastung für junge Menschen in den Fokus gerückt ist. Ein Risiko für das individuelle Wohlbefinden bestehe insbesondere dann, wenn das Gefühl der Einsamkeit dauerhaft besteht und junge Menschen ihre Bedürfnisse nach Kontakt und Zugehörigkeit für längere Zeit nicht erfüllen können.

Wie sehr Einsamkeitserleben mit einem niedrigeren Wohlbefinden zusammenhängt, würden auch die Daten der CLS-Studie zeigen: Die Jugendlichen, die sich selbst als einsam beschreiben, bewerten den eigenen Gesundheitszustand als erheblich schlechter als diejenigen, die von sich sagen, dass sie überhaupt nicht einsam sind.

Unterstützung für psychisch belastete junge Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Autor*innen stellen fest, dass der Zugang zu Hilfe und Unterstützung längst nicht für alle jungen Menschen gleich ist. Um die bestehenden Ungleichheiten zu verringern, sei ein Zusammenwirken von Akteur*innen gefragt, im familiären und sozialen, bildungs- und gesundheitsbezogenen sowie politischen Bereich. Es gelte, bestehende Angebote – zum Beispiel zu Information und Fortbildung über psychische Belastungen und entsprechende Hilfen, (Peer-)Mentoring, Beteiligung und Gemeinschaft – einerseits auszubauen und andererseits zielgruppengerecht und diversitätssensibel auszugestalten. Gerade mit Blick auf das Thema Einsamkeit sei es wichtig, jungen Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht allein sind mit ihren Erfahrungen.

Der Beitrag "Psychisches Wohlergehen von Jugendlichen – mehr als ein Gesundheitsthema" ist in voller Länge hier zu finden.

Weitere Analysen gibt es in der Ausgabe 1/2024 von DJI Impulse „Psychisch stark werden“.

Quelle: Deutsches Jugendinstitut