Mehr als die Hälfte der 16- bis 27-Jährigen nehme mindestens einmal pro Woche beleidigende oder bedrohende Kommentare auf Websites, Blogs, in sozialen Netzwerken oder Messenger-Diensten wahr. Damit gehöre Hass im Netz für viele junge Menschen zum Alltag. Knapp ein Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sei in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal selbst mit herabwürdigenden Äußerungen gegenüber ihren politischen Ansichten, ihrem Körpergewicht oder ihrem Geschlecht konfrontiert. Dies gehe aus einer standardisierten Online-Befragung hervor, an der sich im Mai 2023 mehr als 1.500 junge Menschen beteiligten. Jugendliche mit Migrationsgeschichte seien demnach besonders häufig davon betroffen.
Hass im Netz hemmt junge Menschen, ihre Meinung zu äußern und zu diskutieren
Hass im Netz führe der Befragung zufolge dazu, dass sich junge Menschen aus dem digitalen Raum zurückziehen: Große Anteile der Befragten gaben an, aufgrund von erfahrenen Beleidigungen oder Bedrohungen seltener ihre Meinung im Internet zu äußern (30 Prozent), sich weniger an Diskussionen zu beteiligen (40 Prozent) oder soziale Medien insgesamt seltener zu nutzen (20 Prozent). Damit knüpfen die Ergebnisse an eine in diesem Jahr veröffentlichte repräsentative Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums an, die belegt, dass Hass im Netz die Meinungsvielfalt bedrohe.
Skepsis gegenüber Politik und Demokratie ist umso größer, je geringer das Bildungsniveau
Weitere Ergebnisse der DJI-Jugendbefragung deuten darauf hin, dass einige junge Menschen der Politik und der Demokratie distanziert bis kritisch gegenüberstehen: So äußerten knapp ein Drittel der 16- bis 27-Jährigen, sehr wenig oder kein Interesse an Politik zu haben. 23 Prozent von ihnen seien nicht der Meinung, dass das demokratische System in Deutschland gut funktioniere und 9 Prozent würden die Demokratie nicht für die beste Staatsform halten. Diese Befunde würden auf die befragten jungen Frauen öfter zutreffen als auf die jungen Männer und sie seien umso stärker ausgeprägt, je geringer der formale Bildungsabschluss der Befragten ist. Nur ein kleiner Anteil der Jugendlichen gehe davon aus, dass die eigenen Meinungen oder Wünsche für Politiker*innen relevant sind (8 Prozent).
Interesse junger Menschen an Unterstützung und Beratung ist groß
"Übergreifend zeige sich damit ein hoher Bedarf an demokratiefördernden Maßnahmen für Jugendliche und junge Erwachsene", schreiben die Forschenden Karl-Philipp Walsch, Laura Meijer und Pia Sauermann aus der Fachgruppe "Politische Sozialisation und Demokratieförderung" am DJI in ihrem Abschlussbericht. Das Interesse, politisch relevante Kompetenzen zu erlangen, sei den Studienergebnissen nach groß, insbesondere in Bezug auf digitale Kompetenzen: Junge Menschen wollen Falschnachrichten im Internet erkennen (51 Prozent) und lernen, auf Hass im Netz zu reagieren (44 Prozent), aber nur wenige fühlen sich durch die Schule gut darauf vorbereitet (20 Prozent). Unterstützungs- und Beratungsbedarf im Falle von Beleidigungen und Bedrohungen äußerten die Befragten außerdem vor allem beim Schutz der Privatsphäre im Internet, aber auch in Hinblick auf emotionale, psychologische und rechtliche Beratung.
Es braucht Gelegenheiten für junge Menschen, Fragen zum politischen Geschehen zu stellen und Unzufriedenheit damit äußern zu können
Die Forschenden empfehlen auf der Basis ihrer Ergebnisse "flächendeckende Informations-, Bildungs- und Beratungsangebote zum Thema Hass im Netz, die von einer Aufklärung zum Phänomen, dessen rechtlicher Einordnung […] bis zur Vermittlung konkreter Handlungskompetenzen im Umgang mit Hass im Netz reichen". Wichtig sei zudem, gerade an Schulen, die zu formal niedrigen und mittleren Bildungsabschlüssen führen, eine umfangreichere politische Bildung anzubieten, mitunter auf Mädchen und junge Frauen zugeschnitten. "Zielgruppenzugänge und Konzeptionen, denen es gelingt, gerade auch junge Menschen mit einfacher Bildung und aus weniger privilegierten Sozialmilieus zu erreichen, sollten weiterentwickelt und ausgebaut werden", betont DJI-Wissenschaftler Karl-Philipp Walsch und weist darauf hin, dass sich in den Ergebnissen auch weitreichende Folgen sozialer Ungleichheit spiegeln. Deshalb komme es zugleich darauf an, die ökonomische und soziale Teilhabe für alle zu verbessern. Außerdem müssten für junge Menschen Gelegenheiten geschaffen werden, in denen sie über ihre Fragen zum politischen Geschehen und über ihre Unzufriedenheit im Zusammenhang mit der Demokratie sprechen können.
Der Abschlussbericht zum Projekt "Ermittlung von Bedarfslagen im Bereich Demokratieförderung und Extremismusprävention" steht hier zur Verfügung.
Quelle: Deutsches Jugendinstitut vom 09.08.2024